Zum gegenseitigen Vorteil
Nächstes Jahr wissen wir wirklich nicht, was Tante Erna zum Weihnachtsfest beschert bekommen soll. Bisher geschah das Beschenken immer zum gegenseitigen Vorteil. Wir waren da nie geizig.
Es begann eigentlich vor zwanzig Jahren, oder soll es gar 21 Jahre her sein? Wir kauften unserer Tanten eine nagelneue Waschmaschine. Damals waren wir richtig stolz auf den dreibeinigen Sessel von unserer lieben Tante. Sie merkte uns die Wut nicht an. „Junge, für die Werkstatt ist er noch gut genug, und wenn du ein paar Ziegel auftreiben kannst, stellt ihr ihn in die Stube.
Solltest du keine bekommen, nächstes Jahr ist ja auch wieder Weihnachten”, entgegnete unserer Besuch. Aber so schnell gab ich nicht auf
Ich ließ ein neues Bein drechseln. „Das hast du aber fein gemacht. Da brauchst du mir nichts anderes zu schenken, sagte der Festtagsgast ein Jahr später. Ich war richtig gerührt. Die Blöße geben, dass ich das Bein nicht selber gedrechselt habe, wollte ich auch nicht.
Das passierte uns jedes Jahr zur Weihnachtszeit. Vor drei Jahren schenkte Tantchen uns eine kaputte Vase und voriges Jahr die Waschmaschine ohne Motor. Ich hatte Glück. Ihr Bruder inserierte, dass er einen Motor verkaufe. Zum Neupreis und einem kleinen Trinkgeld erwarb ich dieses Stück. Nicht was sie denken. Da ist Tantchen genau so ehrlich wie ich.
Jetzt hat unsere Familie die Bedenken, dass Tante Erna uns den Fernseher schenkt, den wir ihr vor elf Jahren ohne Röhren schenkten. Zu diesem Zeitpunkt war das Gerät 15 Jahre alt. Dann ist es aus mit der Freundschaft. Hätte ich damals Ersatzröhren bekommen, hätte ich das Gerät nämlich verschenkt.
Titel: Zum gegenseitigen Vorteil
Autor: Peter Benz
gepostet von Peter Benz
am 17.05.2012 16:04
E-Mail: klauspeterb (at) t-online.de
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