Von der Mitternachtskrippe
Es ist zwölf Uhr Mitternacht in einem zwar festlich geschmückten, wohl aber wegen des herumliegenden Geschenkpapiers auch einem – um es höflich auszudrücken - etwas unordentlich geratenen Weihnachtszimmer. Die Familie, bestehend aus Vater und Mutter sowie aus einem Sohn und einer Tochter hat sich gerade vorhin zu Bett begeben, satt und müde vom Essen und Trinken oder auch gesättigt von den Geschenken, die das Christkind unter den Christbaum gelegt hatte. Gerade, als um Punkt zwölf der Schlag der Kirchturmuhr zu hören ist, flackert wie von Zauberhand in der neben dem Christbaum aufgestellten Weihnachtskrippe ein Lagerfeuer auf, eine glucksende Quelle beginnt zu sprudeln und weitere Geräusche sind zu hören.
Die Figuren in der Weihnachtskrippe beginnen sich zu bewegen. Ochse und Esel schütteln sich, dann tapsen beide zwar noch etwas starr, aber hungrig zum Futtertrog, der sich wie ein Wunder täglich neu füllt. Beide beginnen genüsslich am frischen Heu zu knabbern. Das in der weich gepolsterten Krippe liegende Christkind quengelt lauthals, so dass sich Maria sofort nieder bückt, um ihr Kind aus der Krippe zu nehmen. Sie drückt es zärtlich an sich, sucht sich einen Sitzplatz und beginnt es zu stillen. Josef dehnt ebenfalls seine steifen Glieder, dann streichelt er zunächst dem Christkind liebevoll über die Wange und brummelt etwas, das so klingt wie “duuuzi, duuuzi“. Dann umarmt er zärtlich seine Frau Maria und sagt nur: „Ach wir drei !“ Aus diesen wenigen Worten aber ist sein ganzer Vaterstolz zu entnehmen. Dann sucht Josef für seine Frau und sich nach etwas Essbarem.
Josef besieht sich anschließend das im Zimmer herrschende Chaos, in dem es nach Glühwein und Tannennadeln duftet. Nachdem er den letzten Bissen mit Quellwasser hinunter gespült hat, setzt er zum Reden an: „Schau nur hin Maria, was ist das für ein Durcheinander, nichts ist mehr aufgeräumt, es sieht aus, als ob eine Legion Soldaten von Kaiser Augustus durch das Zimmer gefegt ist.“ Maria aber kennt ihren Josef, dem nichts mehr zuwider ist als Unordnung. „Ach Josef“, sagt sie, „die Unordnung ist doch auf die Freude beim Auspacken der Geschenke zurückzuführen; im Innern eines Paketes verbirgt sich immer ein Geheimnis. Wenn nun diese Geheimnisse dem Paket entrissen und die Wünsche des Beschenkten erfüllt werden, gibt es da nicht einen Grund, vor Freude die Hände samt dem Papier in die Höhe zu werfen ?“
Josef nickt ein wenig, was wohl wie Zustimmung aussieht. „Aber sieh’ nur Maria, was die Kinder nur für seltsame Geschenke bekommen haben. Sie glänzen wie Silber und leuchten, es ertönt Musik daraus und es sind daraus sogar andere Leute zu hören, die gar nicht im Zimmer sind. Ich habe sogar schon laufende Bilder gesehen ! Und nun haben die Kinder ihre Geschenke achtlos liegen lassen. Ist das denn Dankbarkeit ?“
Maria entgegnet ihm, dass die Kinder wohl nur müde gewesen seien und es morgen auch bestimmt wieder Zeit gäbe, sich über die Geschenke zu freuen. „Ach Josef „ sagt sie, „es sind doch gute Kinder ! Hast Du es denn nicht bemerkt, wie sie uns mit leuchtenden Augen in unsere Weihnachtskrippe stellten ? Ist das nicht auch ein Wunder, dass wir in ihrem Krippenstall übernachten dürfen ? Und ist es ist nicht ein noch viel größeres Wunder, wenn nicht das größte Wunder überhaupt, dass Gott uns seinen Sohn geschenkt hat ? Das ist doch das allergrößte Geschenk überhaupt, das er jemals der Menschheit und uns beiden anvertraute ! Darüber verblassen doch alle sonstigen Geschenke dieser Welt !“
Josef wird still, weil er weiß, dass Maria die Wahrheit sagt. Er bittet Gott innerlich um Verzeihung, dennoch aber liegt ihm noch eine Angelegenheit auf der Zunge, weil er der Versuchung der blitzenden Gegenstände ganz einfach nicht widerstehen kann: „Maria, stell Dir vor, wir und alle Menschen unserer Zeit hätten auch so ein glänzende Dinge mit laufenden Bildern und mit der Möglichkeit, sich mit Leuten aus allen Erdteilen zu unterhalten.“ Und Josef schwelgt laut in dem Gedanken, dass auch Kaiser Augustus und sein Volk und auch er selbst und später gar sein Sohn sich mit der ganzen Welt verständigen könnten.
Doch Maria holt ihren Mann wieder sacht in ihre Gegenwart zurück: „Nicht umsonst hat Gott seinen Sohn zu unseren Zeiten auf die Welt kommen lassen; wie wird denn das Leben unseres Sohnes verlaufen, wenn er mit solchen Dingen behaftet den ihm von seinem Gottvater vorbestimmten Weg gehen soll ?“
Josef bestaunt innerlich die Weisheit seiner Frau Maria und die Weisheit Gottes und wird still. Und da die Heilige Mitternachtsstunde sich dem Ende nähert, legt Maria das schlafende Christkind wieder in die weiche Futterkrippe. Dann stellen sie und Josef sich wieder neben das Christkind und Ochs und Esel trotten gesättigt zu ihren Schlafplätzen. Und als um ein Uhr der Schlag der Turmuhr zu hören ist, versiegt die vorhin noch fröhlich sprudelnde Wasserquelle und auch das Lagerfeuer fällt in sich zusammen und erlischt.
Die Kinder aber, die am nächsten Morgen als erstes nicht zu ihren Geschenken, sondern zur Krippe hinlaufen, reiben sich verwundert die Augen: Da musste sich doch wohl jemand in der Nacht an den Krippenfiguren zu schaffen gemacht haben, weil die Figuren in der Krippe nicht mehr ganz genau, sondern ein wenig verschoben an Plätzen stehen, an denen sie gestern so noch gar nicht gestanden hatten.
Autor: Josef Albert Stöckl, Kirchdorf bei Haag/Oberbayern
Titel: Von der Mitternachtskrippe
Copyright: by Josef Albert Stöckl
gepostet von Albert Stöckl
Date: 18.11.2012 17:03
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