Herbergsuchen – irgendwo auf dieser Welt


Herbergsuchen – irgendwo auf dieser Welt

Steinig, staubig und weit war der Weg, irgendwo auf dieser Welt. Aber ihn zu gehen, war die einzige Chance, um – vielleicht – zu überleben. Dabei wäre es ihr persönlich egal gewesen, so sehr war ihre Hoffnung auf eine bessere Zukunft – irgendwo auf dieser Welt – bereits gesunken. Besonders seit ihr Mann verschleppt worden war und sie nicht mehr wusste, ob er überhaupt noch lebte. Da wäre sie auch lieber gestorben, als mehr und mehr Leid zu sehen und erleben zu müssen. Aber da war das Kind in ihr und dieses neue Leben würde bald in die Welt drängen. Deshalb musste sie jede noch so winzige Chance nützen, das war sie ihrem Kind schuldig.
Unzählige Kilometer lagen bereits hinter ihr und von Tag zu Tag wurde ihr Gang langsamer. Freundinnen stützten sie, wenn sie glaubte, gar nicht mehr zu können und richteten sie wieder auf, wenn sie fiel.
Die Grenze ihres Heimatlandes lag schon hinter ihr. Ein Auffanglager in einem fremden Land – irgendwo auf dieser Welt. Hier konnte sie drei Tage und Nächte bleiben. Eine Freundin erkämpfte etwas zu essen und einen Schlafplatz für sie in dem überfüllten Zelt. Dann musste sie weiter. Sie und viele andere wurden auf Lkws verladen und weggefahren. Einen ganzen Tag lang, bis zum späten Abend. Abermals ein Lager mit Zelten – irgendwo auf dieser Welt. Am nächsten Tag sollte es weitergehen, per Flugzeug, wieder in ein anderes Land. Aber es kam niemand, um sie abzuholen. Später erfuhr sie, dass das Land, in das sie gebracht werden sollte, keine weiteren Flüchtlinge mehr aufnehmen wollte. Das Kontingent wäre absolut überfüllt. Kein Platz in einem Land – irgendwo auf dieser Welt – in dem der Überfluss weggeschmissen wurde. Illegale, die aufgegriffen wurden, kamen in Schubhaft oder wurden sofort abgeschoben. Illegale, Menschen mit der vagen Hoffnung auf ein halbwegs menschenwürdiges Leben, da ihnen legal jede Chance genommen wurde.
Am Abend dieses Tages brachte sie ihr Kind zur Welt – irgendwo auf dieser Welt. In einer Ecke im Lager, allein, nur mit einer Freundin, die ihr zu helfen versuchte, so gut sie eben konnte. Einer der Flüchtlinge spendete eine Decke. Mehr konnte nicht entbehrt werden, denn es war kalt im Zelt und das Warten würde noch lange dauern. Dann hörten sie Glocken läuten. Von weiter weg klangen sie – kaum noch hörbar – herüber. Denn es war ja Weihnachten – überall auf dieser Welt ...

Titel: Herbergsuchen – irgendwo auf dieser Welt
Autor: Gabriele Maricic-Kaiblinger
gepostet von Gabriele Maricic-Kaiblinger
am 18.12.2013 09:42
E-Mail: pantomime@aon.at

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