Fritzis neue Heimat
(Teil 2, Fortsetzungsgeschichte) von Gabriele Maricic-Kaiblinger
Letztes Jahr, genau am Heilig-Abend, musste Fritzi, das Rehkitz, seinen Heimatwald verlassen. Die Menschen hatten zwei Skigebiete zusammengeschlossen und durch Fritzis Wald waren plötzlich Menschen auf zwei Brettern gesaust, ohne Rücksicht darauf, dass Fritzi erschrocken hinter einem Baum hervorlugte, nicht wusste, was da los war und Angst hatte.
Nun hatte sich Fritzi ganz gut eingelebt im neuen Wald. Sogar eine kleine Freundin hatte er gefunden, die ihn seinen alten Freund Gemschen ein bisschen vergessen ließ. Eines hatte seine neue Freundin Gemschen sogar voraus: Itti, die kleine freche Schneemaus tollte ebenso gerne im Schnee herum wie Fritzi. Überhaupt wuselte sie am liebsten Tag und Nacht herum, Schlaf brauchte sie wenig.
Fritzi hatte Itti im Frühjahr kennengelernt, als sie gerade mal drei Wochen alt war. Schneemäuse werden nämlich bereits in diesem zarten Alter selbstständig und die quirlige Itti hatte gleich die gesamte Umgebung erforscht. Sogar in einige Almhütten war sie schon eingedrungen, da kannte sie keine Angst. Fritzi war froh über diese Freundin, denn seine Geschwister, die ebenfalls im Frühjahr auf die Welt gekommen waren, machten sich nichts aus dem Schnee. Mit denen kann man nichts anfangen, dachte Fritzi oftmals enttäuscht.
„Warum muss er nur so aus der Art schlagen“, fragte die Mutter Rehgeiß von Zeit zu Zeit. Vater Rehbock wusste keine tröstenden Worte mehr. Hatte er letztes Jahr noch geantwortet, dass Fritzi sich umso artgerechter verhalten würde, je älter er würde, und seine Schneeliebe noch als jugendliche, wenn auch für Rehe ungewöhnliche Albernheit abgetan, so war er jetzt sehr niedergeschlagen von Fritzis eigenartigem Verhalten.. Fritzi hatte sich im Sommer keine Partnerin gesucht, obwohl er doch bereits geschlechtsreif gewesen wäre und dies entsetzte seinen Vater sehr.
An diesem Weihnachtsmorgen tollte Fritzi wieder mit Itti im Schnee herum. Itti kam übrigens von Brigitte und dessen Abkürzung Gitti. Doch sobald Itti ein wenig Ahnung vom Leben bekommen hatte, lehnte sie diesen Namen ab. „Ist doch ein menschlicher Name. Was habt ihr euch dabei gedacht?“ hatte sie lautstark ihre Eltern angepiepst. „Aber ein schöner Name“, hatte die Mutter verträumt zurückgepiepst. „Und er passt zu dir. Wir wollten was Besonderes“, hatte sich ihr Vater stolz gezeigt. „Aber er ist menschlich! Wie könnt ihr nur?! Ich hasse Menschen!“ „Wieso denn?“ hatten die Eltern wie aus einem Munde gefragt. „Ja wisst ihr nicht, was Menschen uns Mäusen alles antun?“ „Uns Schneemäusen doch nicht. Die bekommen uns ja kaum zu sehen. Außerdem finden sie uns niedlich. Da brauchst du wirklich keine Angst haben“, hatte der Vater erklärt und die Mutter genickt. „Ihr denkt nur an euch! Ja, wir leben heroben, zwischen Steinen und Wurzeln von Latschen und Almrosengebüsch. Und wir haben ein helles Fell, teilweise sogar weiß. Aber was ist mit unseren grauen Verwandten, die unten in den Dörfern leben? Gequält, gefangen und getötet werden die. So grausam sind Menschen. Und rassistisch dazu! Ist doch egal, ob eine Maus ein weißes oder graues Fell hat!“ hatte Itti geschrien und war davongehuscht. Hinaus in die frische Luft.
Nun war also wieder ein Weihnachtsmorgen und Fritzti und Itti genossen die Ruhe im Wald. Für Fritzi war es ja das zweite Weihnachten und er erzählte Itti, wie er sich letztes Jahr mit Gemschen schon auf die Glocken gefreut hätte, die in der Nacht vom Dorf heraufklangen und den Wald mit ihrem Weihnachtsklang erfüllten – davon hatten sie nämlich viel gehört gehabt. Doch dann hatten sie wegziehen müssen. Und Fritzi hatte zwar die Weihnachtsglocken gehört, während sie durch den Wald gezogen waren, doch so richtig genießen hatte er sie nicht können. Aber heuer wollte er das, mit Itti.
„Aber es ist noch früh. Komm, hinter der Almhütte dort drüben ist ein Weg, den bin ich noch nie gegangen.“ Und schon sprang sie voraus.
Fritzi seufzte. Das war’s wohl mit der Ruhe am Weihnachtsmorgen. Aber wenigstens verging so die Zeit schneller, bis er die Glocken wieder hören konnte. Er sprang Itti nach. Der Weg hinter der Almhütte führte ein Stückchen bergauf, zweigte dann nach rechts in den Wald ab, nach einigen Metern nach links und später abermals nach rechts. Und dann ... führte er aus dem Wald hinaus und ... Fritzi stand plötzlich wie erstarrt, während Itti herumwuselte und das neue Umfeld erschnupperte. Da waren sie wieder! Menschen auf langen Brettern! Nur ein paar Meter weiter sausten sie den weißen Hang hinunter.
„Nein! Nein“, schrie Fritzi, drehte sich um und lief davon. „Was ist los?“ rief Itti, als sie ihn eingeholt hatte. „Nicht schon wieder! Nicht schon wieder ..., schluchzte Fritzi. Itti schaute ihn verständnislos an. „Die Menschen ... die Ski ...“ „Ja schrecklich. Menschen! Ich mag sie auch nicht.“ „Du verstehst nicht ... letztes Jahr habe ich auch Menschen auf langen Brettern gesehen und dann mussten wir weg ... ich will nicht schon wieder wegziehen!“ Er kümmerte sich nun nicht mehr um Itti, sondern lief immer schneller, bis er zu Hause war. „Vater, Mutter! Ich hab ... sie wieder gesehen. Ich geh’ aber nicht weg ... nicht weg ...!“ stammelte Fritzi aufgeregt. Die Geschwister blickten ihn verdutzt an. „Was hast du gesehen?“ wollte der Vater wissen. „Die Menschen ... auf ... auf diesen Brettern ...“ Die Eltern wechselten einen wissenden Blick. „Was hast du nur so weit weg zu suchen?“ interessierte nun die Mutter. „Aber ... ich ... so weit war’s ja gar nicht“, stammelte Fritzi. „Weit genug. Reicht dir die Umgebung hier nicht?“ Hier bist du sicher“, entgegnete der Vater. „Ja aber ...“ „Kein aber! Weiter drüben ist ein Skigebiet, das stimmt. Wir haben es dir nicht gesagt, weil wir dich nicht beunruhigen wollten. Aber hier herüber kommen die Menschen nicht. Hier sind wir sicher“, betonte der Vater nochmals. „Dann ... müssen wir nicht wieder wegziehen?“ „Müssen wir nicht.“ „Aber wenn wieder zwei Skigebiete zusammengelegt werden ... oder ... vergrößert ...“ „Wird es nicht“, fiel ihm der Vater schnell ins Wort. “Bist du da sicher? Kannst du’s mir garantieren?“
Die Eltern wechselten wieder einen Blick. „Nein“, sagte dann der Vater ernst, „garantieren kann ich es nicht.“ Fritzi war froh über die ehrliche Antwort, obwohl sie ihn etwas niedergeschlagen machte. Aber die Freude darüber, dass sie vielleicht immer hier leben konnten, überwiegte. Er lief wieder zu Itti, die ihm bereits auf halbem Weg entgegenkam. „Da bist du ja. Ich hab’ mir Sorgen gemacht“, piepste sie. „Brauchst du nicht.“„Das heißt ... du musst nicht weg?“ „Ich muss nicht weg“, bestätigte Fritzi und kostete das wunderbare Gefühl aus, diesen Satz sagen zu können.
Und dann in der Nacht standen die beiden auf dem gefrorenen Schnee und lauschten ehrfürchtig den Weihnachtsglocken, die vom Dorf herauf- und von den Dörfern weiter weg - herüberklangen. Und es lag etwas Besonderes in der Luft.
Fritzi, das Rehkitz (Teil 1)
Titel: Fritzis neue Heimat (Teil 2, Fortsetzungsgeschichte)t
Autor: Gabriele Maricic-Kaiblinger
gepostet von Gabriele Maricic-Kaiblinger
am 18.12.2013 09:42
E-Mail: pantomime@aon.at
→ Alle Gabriele Maricic-Kaiblinger Geschichten auf den Fest- und Feiertagsseiten
Christkindls Weihnachtsgeschichten