Fritzi, das Rehkitz


Fritzi, das Rehkitz

Das Rehkitz Fritzi war besonders guter Laune. Übermütig sprang es im frischen Schnee herum. Es liebte es, wenn der Pulverschnee in die Höhe stob und dann weich auf ihn herabfiel. Dann stupste es mit der Nase in das Weiß und genoss die kühle Feuchtigkeit. Sein graubraunes, zottiges Winterfell schützte es vor der Kälte. Es war Anfang Dezember und Fritzi liebte die weihnachtliche Stimmung in diesem Monat. Denn obwohl hier im Wald keine so hektische Betriebsamkeit herrschte wie bei den Menschen in den Dörfern und Städten und auch kein Schmuck und keine Lichterketten zu sehen waren, so konnte man doch spüren, dass bald Weihnachten kam, viel besser sogar. Es lag einfach etwas in der Luft, fand Fritzi. Weiters liebte Fritzi den Dezember, da er erst der Beginn der Winterzeit war und nun ein paar Monate weiße Pracht vor ihm lagen. Nur – leider teilte keiner aus Fritzis Familie diese Liebe mit ihm. Dies trübte Fritzis Stimmung ein wenig, denn es wäre natürlich noch schöner, mit seinen Eltern und Geschwistern herumtollen zu können. Geteilte Freude wog bekanntlich doppelt so viel. Doch so musste er eben alleine herumtoben. Nur einen Freund hatte er, der sich manchmal zu ihm gesellte. Es war dies Gemschen. Das Rudel, in dem Gemschen lebte, musste im Winter stets vom Hochgebirge, wo es den Sommer verbrachte, in den Wald herabsteigen, um Futter zu finden. Fritzi freundete sich mit ihm an, erstens, da er einen Freund suchte und zweitens, weil ihm Gemschens Winterfell so gut gefiel. Speziell an den Wangen, da sah es nämlich aus wie Schnee. Gemschen spielte also ab und zu mit Fritzi, weil er ihn auch gerne mochte – nur den Schnee nicht, diese Leidenschaft konnte er nicht mit Fritzi teilen.
„Wie kann er nur so aus der Art schlagen?“ seufzte die Mutter oftmals und hoffte insgeheim, dass die zwei Kitze, die sie zur Zeit trug und die im Frühjahr auf die Welt kommen würden, ganz normal waren. Der Vater Rehbock, der Anfang Dezember sein Geweih abgeworfen hatte, damit ein neues nachwachsen konnte, sah Fritzis Verhalten etwas gelassener.
„Lass ihm doch die Freude. Je älter er werden wird, desto artgerechter wird er sich verhalten.“
Die Rehgeiß seufzte daraufhin abermals und zog sich in ihren Lieblingswinkel zurück, denn solange sie trächtig war, war sie gerne alleine.
So rückte die Weihnachtszeit immer näher. Fritzi genoss den herrlichen Schnee, der dieses Jahr besonders reichlich vorhanden war, bis er eines Tages fürchterliche erschrak. Eben tollte er wieder herum und hüpfte hoch, um einige Flocken zu erhaschen, als plötzlich, nur zwei Meter entfernt, etwas neben ihm vorbeihuschte.
Was war das?
Fritzi stand wie erstarrt, reckte seinen Kopf und war auf der Hut. Und da war es wiederum.
Menschen! Menschen auf langen Brettern und mit Stecken in den Händen, sausten durch den Wald.
Durch seinen Wald! Er konnte es nicht fassen. Das war doch noch nie gewesen, dass sich in dieser Gegend Menschen aufhielten. Sogar im Sommer hatte sich nur ab und zu ein Wanderer hierher verirrt. Er sprang zu seinen Eltern und erzählte aufgeregt, was er gesehen hatte. Die Mutter blickte nur still mit geneigtem Kopf vor sich hin.
„Ja, ich habe es auch erst heute erfahren. Die Menschen haben zwei Skigebiete zusammengeschlossen, um noch mehr Hänge für ihr Freizeitvergnügen nützen zu können. Für uns bedeutet dies, dass wir wegziehen müssen, weil wir nun hier nicht mehr sicher sind“, erklärte Vater traurig.
„Weg?! Aber ... aber ...“ Fritzi konnte es nicht fassen. Weg aus seinem geliebten Wald, weg von seinem einzigen Freund Gemschen?
„Aber ... wohin?“
„Wir werden einen Platz finden. Morgen früh ziehen wir los.“
„Morgen? Aber morgen ist doch ... ist doch ...“
„Ich weiß.“
Fritzi versuchte, tapfer zu sein. Die Tränen zurückhaltend, rannte er los, lief nochmals durch seinen Wald, suchte Gemschen, um sich von ihm zu verabschieden.
Gemschen schniefte.
„Mit wem soll ich denn jetzt spielen?“ fragte er, doch Fritzi blickte nur traurig.
„Meinst du ... meinst du, wir müssen auch wegziehen?“
„Weiß nicht“, antwortete Fritzi.
„Das ... das wäre vielleicht gar nicht schlecht ... wenn wir an den gleichen Platz kämen wie ihr.“
„Ja ... ja! Das wäre schön!“ rief Fritzi aus, aber so recht daran glauben konnte er nicht.
„Aber ...“, fiel es Gemschen ein, „aber wir wollten doch ...morgen Nacht ...“
„Ja ... die Glocken ... unsere Heilige Nacht ...“
Und dann tollten sie wild herum wie nie zuvor. Und je mehr Fritzi mit Gemschen spielte, desto zorniger wurde er auf die Menschen.
„Was gibt ihnen nur das Recht, uns unseren Lebensraum zu nehmen?“
„Ich weiß nicht. Sie sind mächtiger als wir.“
„Dann müssten sie ihre Macht doch einsetzen, um die Natur zu erhalten. Papa hat gesagt, dass der Mensch auch die Natur braucht, um leben zu können.“
„Warum zerstört er sie dann?“
„Ich weiß nicht. Mama sagt auch, Menschen sind schwer zu verstehen, sie handeln oft so unberechenbar.“
“Ich versteh sie gar nicht.“
„Ich auch nicht.“
Dieses Mal spielte Gemschen ein bisschen länger, als ansonsten. Ja, bis spät in die Nacht hinein blieben sie zusammen, um jede noch bleibende Minute zu nützen.
Früh ging die Reise los, um dann tagsüber eine Pause einzulegen. Erst in den Abendstunden wurde weitergegangen. Fritzi lauschte dann und wann und wartete.
Und schließlich hörte er, wie unten aus einem Dorf die Weihnachtsglocken heraufklangen, während sie durch den verschneiten Wald zogen.

Fritzis neue Heimat (Teil 2)

Titel: Fritzi, das Rehkitz
Autor: Gabriele Maricic-Kaiblinger
gepostet von Gabriele Maricic-Kaiblinger
am 18.12.2013 09:42
E-Mail: pantomime@aon.at

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