Es begann in der Silvesternacht


Es begann in der Silvesternacht

Verflixt! Fast 22 Uhr ...
Monika schlüpfte rasch in ihre Schuhe, die sie sich extra zu der schwarzen Jeans gekauft hatte, zog die dicke Jacke über den schwarz und silbern glitzernden Pullover, schnappte ihre Handtasche und verließ die Wohnung.
Was für ein Tag! Heute war wirklich alles schief gelaufen. Am Morgen hatte sie verschlafen, aus der Dusche kam nur kaltes Wasser, dann stieg sie vor lauter Eile in die falsche U-Bahn ein – was ihr in den zwölf Jahren, die sie in Wien lebte, noch nie passiert war. Natürlich war sie nicht pünktlich im Büro erschienen und natürlich war der Chef heute ausnahmsweise pünktlich gewesen und so hatte sie seine Version von Pünktlichkeit über sich ergehen lassen müssen. Ähnliche Missgeschicke waren gleichfalls noch am Nachmittag passiert – sie wollte sich lieber nicht mehr daran erinnern.
Die Silvesterparty fand nur zwei Straßen von Monikas Wohnung entfernt, in ihrem Stammlokal statt. Sie hastete die fünf Stufen zum Eingang hinauf und knallte, als sie schon die Hand zum Türknauf ausstrecken wolle, mit einem Mann zusammen, der eben die Stufen hinunterzuhasten im Begriff war.
„Au“, kam es aus beider Munde. Monika kniete auf einem Bein und hielt sich ihren Fuß. Sie hatte sich an der Kante einer Stufe gestoßen. Langsam nahm sie die Hand wieder weg.
„Tut mir leid“, sagte der Mann.
Ein Loch! Auch das noch! Nur ein Stückchen Strumpfhose, natürlich ebenfalls in schwarz, war zwischen Hosenende und Schuhe zu sehen und ausgerechnet hier war nun ein kleines Loch, von dem eine kurze Laufmasche wegging.
„Sch ...“, rief sie aus.
„Manfred“, sagte der Mann.
Monika blickte verdutzt auf und registrierte erst jetzt, dass die Ursache ihres Übels noch da stand und starrte ihn an. Sonst nicht auf den Mund gefallen, wusste sie in diesem Moment nicht, was sie sagen sollte. Sie stand auf.
So ein Blödmann, dachte sie in ihrer Wut und ließ ihn einfach stehen.
Der Saal war bereits voll und die Stimmung ausgelassen. Sie sah sich um – mit dem Gefühl, dass jeder auf ihr Loch in der Strumpfhose starrte – bis sie die winkende Arbeitskollegin entdeckte.
„Na endlich“, empfing diese sie, als Monika sich bis zum Tisch durchgerungen hatte.
„Fragt nicht“, entgegnete sie, um gleich weiteren dummen Bemerkungen ihrer Kollegen vorzubeugen.
„Stoßen wir an“, sagte einer der Kollegen und erzählte ein paar anzügliche Witze, was die Situation wieder entspannte und auch Monika zum Lachen brachte.
„Du, der starrt dich schon die ganze Zeit an“, bemerkte später plötzlich eine Kollegin.
„Wer?“, fragte Moni.
„Na, der Typ da drüben an der Bar.
Monika drehte sich langsam um, blickte kurz Richtung Bar, konnte jedoch keinen Typen erkennen, der sie anstarrte. „Das bildest du dir bloß ein.“
„Glaub ich nicht“, antwortete die Kollegin und grinste.
„Tanzen wir?“, hörte Monika da schon neben sich.
Tanzen? Ich und tanzen? Nun gut, er kann ja nicht wissen, dass ich nie tanze.
„Ja gern“, antwortete sie, erhob sich und folgte ihm zur Tanzfläche.
Was tue ich da? Ob es seine Augen waren, die so strahlten oder sein charmantes Lächeln? Blödsinn! Charmant, so ein altmodisches Wort ... was ist nur los mit mir?
Auf einmal wurde sie sich wieder des Lochs in der Strumpfhose bewusst und hoffte, dass sie ihm nicht auf die Füße stieg, damit er keinen Grund hatte, runterzuschauen.
Acht Lieder hindurch tanzten sie. Er sprach über dies und das, sie hörte ihm – ganz entgegen ihrer Art - einfach nur zu und war fasziniert. So fasziniert, dass sie nicht mehr ununterbrochen ihr Loch in der Strumpfhose wahrnahm. Warum sie so von ihm fasziniert war, wusste sie nicht. Sie wusste auch nicht, warum sie keine Schwierigkeiten beim Tanzen hatte, obwohl, seit sie das erste und letzte Mal getanzt hatte, fünfzehn Jahre vergangen waren.
Und als sie so tanzten, kam ihr mit einem Mal der vergangene Sommerurlaub in den Sinn. Bei ihrer Schwester in Tirol war sie gewesen und diese hatte ihr von einer Hellseherin erzählt. Monika glaubte zwar nicht fest an so etwas, aber sie war dem Mystischen trotzdem nicht gänzlich abgeneigt. So hatte die Neugier gesiegt und die Schwester sie zu der Hellseherin, die nahe Innsbruck wohnte, fahren müssen.
Was hatte diese ihr gesagt? Den Mann fürs Leben würde sie zu Silvester kennenlernen ...
Monika musste lächeln bei der Erinnerung. Nicht schlecht, hatte sie damals gedacht, mit über dreißig würde es schon bald Zeit, den Mann des Lebens kennenzulernen. Aber später, zurückgekehrt in den Alltag, hatte sie diese Voraussage wieder vergessen, bis ... ja, bis jetzt unterm Tanzen.
Ob vielleicht ... Roland heißt er ... ob Roland ... er muss es sein ... wieso wäre ich sonst so fasziniert von ihm?
Ihre Augen bekamen einen eigenartigen Glanz und sie fühlte sich leicht und glücklich. Erst dann an der Bar, zu der sie ihm widerspruchslos gefolgt war, merkte sie, wie erschöpft sie war. Aber die Pause und der Drink taten ihr gut und danach fühlte sie sich wieder fit und sie tanzten weiter.
Als es zwölf Uhr schlug und die Stimmung und der Jubel rundherum ihren Höhepunkt erreichten, küsste Roland sie lange und intensiv. Dann gingen sie ins Freie, wie die meisten anderen ebenfalls, um das Feuerwerk zu sehen. Danach lud er sie zum Essen ein. Essen, trinken, tanzen, der Abend ging wundervoll weiter, bis er um etwa zwei Uhr früh meinte, er müsse jetzt leider gehen. Der Abschiedskuss war nochmals lang und intensiv und als er dann nur kurz: „Wir sehen uns“, sagte, dachte sie sich nichts Schlechtes dabei. Sie sah ihm noch lächelnd nach, nun erst erinnerte sie sich wieder an ihre Kollegen. Auch das Loch in der Strumpfhose war mit einem Mal wiederum spürbar. Mitttlerweile waren noch zwei Bekannte dazugekommen und die Runde amüsierte sich prächtig.
„Ah, sie kennt uns noch ...“ Den und ähnliche Sprüche musste sich Monika anhören, aber da stand sie drüber. Erst als einer der Hinzugekommenen: „Den kenn ich, den Roland. Seine Frau kommt morgen oder besser gesagt heute aus dem Krankenhaus ... zweites Baby ...“, sagte, wurde sie unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückbefördert. Sie konnte es nicht fassen.
Sowas muss mir passieren. Mir! Das gibt’s doch nicht ... Scheißkerl ...
„Nie wieder geh ich zu einer Hellseherin“, rief sie laut aus.
„Was?!“, fragte eine Kollegin verdutzt. Auch die anderen am Tisch sahen sie überrascht an.
„Ach nichts. Nichts! Ich geh jetzt“, antwortete Monika und tat es. Sie konnte die lustige Stimmung um sich herum nicht mehr ertragen. Sie verließ das Lokal, frustriert, zornig, hastete die Stufen hinunter und – stieß mit einem Mann zusammen, der eben im Begriff war, die Stufen hinaufzuhasten. Er fing sie auf. Sie blickte zu ihm auf.
Schon wieder der ... das gibt’s doch wohl nicht! Der hat mir gerade noch gefehlt zu meinem Glück. Verdammt ...
Monika warf ihm einen bösen Blick zu, riss sich los und lief, ohne ein Wort zu sagen, davon.

Kurz vor zwölf Uhr Mittag klingelte es. E r stand draußen. Mit einem riesigen Blumenstrauß.
Was will dieser Blödmann!? Woher weiß er überhaupt, wo ich wohne ...?
„Ich will mich entschuldigen“, sagte er und drückte ihr den Riesenstrauß in die Hand.
„Ich weiß“, sprach Manfred weiter, „ich bin ein Tollpatsch und habe nicht aufgepasst, aber ich war so in Gedanken gestern Nacht. Meine Mutter ... sie ist krank und gestern war so ein Tag ... es hieß, wenn sie diesen Tag übersteht, dann ... dann geht es wieder bergauf und nun ... ich glaub, sie hat das Schlimmste überstanden. Es tut mir leid, dass wir zweimal zusammengestoßen sind ... also, eigentlich ja nicht ... also, darf ich Sie zum Essen einladen ... kleine Wiedergutmachung ...?“
Monika war sprachlos ob dieses Redeflusses. Sie nickte, bat ihn erst mal herein und dann nahm das Schicksal langsam seinen Lauf ... und wer weiß, vielleicht gibt es doch mehr Dinge zwischen Himmel und Erde, als sich erahnen lassen …

Titel: Es begann in der Silvesternacht
Autor: Gabriele Maricic-Kaiblinger
gepostet von Gabriele Maricic-Kaiblinger
am 21.12.2014 10:23
E-Mail: pantomime@aon.at

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